Region Wil muss ihre Stärken verstärken
Vertreter der 22 Gemeinden der Region Wil, abgekürzt Regio Wil, haben sich in diesem Jahr an drei Workshops getroffen, um Grundlagen für eine langfristige Standort- und Wirtschaftsentwicklung zu erarbeiten. Bereits Ende 2015 sollen definitive Ergebnisse vorliegen.
(Text: Johannes Rutz)
An den drei Arbeitstagungen nahmen rund 60 Vertreter der regionalen Wirtschaft und der öffentlichen Hand teil. Es ging dabei darum, darüber nachzudenken, wie die Region Wil im Jahre 2025 wirtschaftlich aufgestellt sein könnte. Der Strategieprozess wird begleitet von Dr. Gerald Mathis vom ISK, dem Institut für Standort-, Regional- und Kommunalentwicklung in Dornbirn/St. Gallen.
Leuchttürme gesucht
In den Diskussionen wurde rasch klar, dass eine Region nur dann als Wirtschafts- und Wohnstandort wahrgenommen wird, wenn sie über sogenannte Leuchttürme verfügt. Diese schaffen Identität und Attraktivität. Ein solcher Leuchtturm könnte beispielsweise der Entwicklungsschwerpunkt (ESP) Wil West werden. Im Sinne der "Grünetta" in Müllheim wäre auch ein Gewerbepark für KMU denkbar. Es handelt sich dabei um einen Gewerbepark mit einer guten Durchmischung von Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben.
Stärken gezielt ausbauen
Wie beurteilt Stefan Frei, Gemeindepräsident von Jonschwil und Präsident der Fachgruppe Wirtschaft von Regio Wil, das Ergebnis der ersten drei Workshops? Sein Urteil fällt positiv aus:"Wir sind aktuell daran, unsere wichtigsten zukünftigen Handlungsfelder zu konkretisieren. Unsere Region weist heute eine überdurchschnittliche Stärke in der Berufs- und Weiterbildung aus. Diese Stärke möchten wir gezielt ausbauen, weil dieses Handlungsfeld angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels in Zukunft ein zentraler Erfolgsfaktor für unsere regionale Wirtschaft sein wird. Einen weiteren Schwerpunkt setzen wir beim Erhältlichmachen von Liegenschaften für Gewerbe und Industrie. Besonders betont wird künftig auch die Kommunikation innerhalb der Region, weil dies für die Identität von Bevölkerung und Wirtschaft wichtig ist."
Interview mit Marco Frauchiger, Rektor Berufs- und Weiterbildungszentrum Wil-Uzwil
"Begehrte Berufslehre: 73 % sind dabei"
An den drei Workshops von Regio Wil zur zukünftigen Wirtschaftsentwicklung (siehe nebenstehenden Artikel) ist immer wieder die grosse Bedeutung der Berufsbildung betont worden. Wir befragten Marco Frauchiger, Rektor des Berufs- und Weiterbildungszentrum Wil-Uzwil, dazu.
Herr Frauchiger: Welchen Standortvorteil hat die Region Wil bezüglich Berufsbildung?
Marco Frauchiger: Die Berufsbildung hat in der Ostschweiz eine lange und grosse Tradition. Die Quote der Schulabgänger, die eine Berufslehre absolvieren, ist in unserer Region mit über 73% überdurchschnittlich hoch. Dies liegt an verschiedenen Faktoren. Die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmungen scheint in unserer Region ausserordentlich hoch zu sein. Ebenfalls scheint der Wert einer Berufslehre im Vergleich zu anderen Regionen in der Bevölkerung noch hochgehalten zu werden. Gründe dafür sind sicherlich die hohe Ausbildungsqualität, die steigenden Weiterentwicklungsmöglichkeiten sowie die guten Aussichten für eine Anstellung nach der Lehre.
Diese Ausgangslage stellt für unsere Region eine klare Stärke dar. In vielen europäischen Ländern beträgt die Maturitätsquote 80% und mehr. Ausländische Firmen siedeln heute nicht mehr nur aus kostentechnischen Gründen um, sondern weil ihnen praktisch ausgebildete Fachkräfte fehlen. Diese Standortkompetenz sollte die Region international bewerben.
Welche Berufe sind von den Jugendlichen besonders gefragt?
Frauchiger: Neben dem kaufmännischen Beruf, der bei Mädchen und Jungs sehr gefragt ist, erfreuen sich bei den jungen Frauen soziale- und Gesundheitsberufe grosser Beliebtheit, beim männlichen Geschlecht eher technisch oder informatikorientierte Berufe.
Der Kanton St. Gallen hat die tiefste Maturaquote in der Schweiz. Was sagen Sie dazu?
Frauchiger: Auch dieser Umstand sollte als Stärke angesehen werden. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Mittelschulen hervorragende Arbeit leisten und hohe Qualitätsstandards setzen. Hört man die Klagen der Hochschulen über die sinkende Studierfähigkeit, machen wir in der Ostschweiz alles richtig. Der Maturitätsweg soll der Bildungselite vorbehalten sein, d.h. denjenigen, die gerne und mühelos schulisch lernen. Somit bilden wir nicht auf Halde aus, sondern haben auf der einen Seite gut qualifizierte Akademiker und auf der anderen Seite praktisch ausgebildete Fachkräfte. Eine bessere Ausgangslage kann es eigentlich nicht geben.
Was empfehlen Sie jungen Leuten, die in der Berufswahl noch unsicher sind?
Frauchiger: Der grösste Fehler, der aktuell begangen wird, ist das Schaffen einer Konkurrenzsituation zwischen Berufsbildung und Maturitätsweg. Aussagen wie „Du bist intelligent, du gehörst in die Kanti“ oder „bei dir reicht es vermutlich NUR für eine Berufslehre“ gefährden die Stärken und die Vielseitigkeit unseres Bildungssystems. Unsere Jugendlichen sollen ohne äusseren Druck den eigenen Königsweg gemäss ihren Fähigkeiten und Kompetenzen wählen können. Ich würde also jedem Oberstufenschüler raten, sich genügend Zeit zu nehmen, alle spannenden Optionen sauber zu prüfen und das Herz entscheiden zu lassen.
Herzlichen Dank für Ihr Gespräch. (Die Fragen stellte Johannes Rutz)