Der Dorfladen und seine Zukunft ist individuell
Der Dorfladen Liest man regelmässig Zeitung erscheint es einem als sterbe mind. jede Woche einer davon. Die Folgen für eine Gemeinde können gravierend sein. Und doch stellt sich die Frage: ist es wirklich Aufgabe der Gemeinde einen Dorfladen am Leben zu erhalten? Wie sieht der Dorfladen der Zukunft aus und was kann eine Gemeinde direkt oder besser noch indirekt dafür tun, dass dieses Element der Nahversorgung bestehen bleibt? Diesen Fragen haben sich rund 15 Gemeindevertreter aus der Region und ein Gast vom Bodensee gestellt und beim Besuch von zwei unterschiedlichen Dorfläden diskutiert. Eines vorweg: die goldene Lösung gibt es auch hier nicht. Aber Chancen erkennen und Chancen wahrnehmen ist ein guter Anfang.
Wie bereits am ersten Dorfbesuch im September 2017 zum Thema Dorfkernaufwertung versammelten sich morgens um halb 9 eine Gruppe von interessierten Gemeindevertreter zu einem Vormittag der Vernetzung und des Wissenstransfers. Was akademisch klingt ist praktisch sehr wichtige: es ist Austausch, Erfahrungen weitergeben, Gemeinsam vorwärtskommen. Diesmal zum Thema Der Dorfladen und seine Zukunft. Denn so viele Dorfläden es gibt, ähnlich viele Lösungsansätze sind vorhanden. Und genau darin liegt die Herausforderung: Was ist wohl der richtige Ansatz für die gegebenen Voraussetzungen der eigenen Gemeinde?
Der Dorfladen: mehr als Verkauf von Gütern
Der Dorfladen ist in erster Linie ein wirtschaftliches Unternehmen. Die Erfahrungen zeigen aber, dass der gesellschaftliche Wert eines Dorfladens viel mehr ist als der reine Verkauf von Gütern. Neben der Tatsache, dass er Arbeitsplätze in der Gemeinde generiert, sind diese auch sehr wertvoll, insbesondere für diejenigen Personen, welche nahe beim Wohnort oder Teilzeit arbeiten wollen. Dorfläden sind wichtig für die lokalen Wertschöpfungsketten. Gerade Dorfläden, welche die kritische Umsatzmenge für Spar oder Volg nicht erreichen, ergibt sich die Chance das Sortiment unabhängig und auf die vorhandenen lokalen/regionalen Produkte gestützt zusammenzustellen. Ein Dorfladen bietet auch eine Möglichkeit für den Austausch unter der Bevölkerung, der Integration von Neuzugezogenen. Zudem weiss das Personal in den Dorfläden oft wo der Schuh bei der Bevölkerung drückt.
Lokale Vereine tragen Dorfladen mit
Der Bus der Wil Mobil fährt die Gruppe als erstes nach Lenggenwil. Der Dorfmarkt konnte von seiner blauen, in die Jahre gekommenen Baracke in einen schönen und vor allem hellen Neubau in der Nähe des Restaurants Krone, der Kirche sowie des Mehrzweckgebäudes ziehen. Ende Mai wird offiziell Eröffnung gefeiert. Den Kunden stehen die neuen Flächen seit rund zwei Monaten offen. Möglich wurde dies durch das Zusammenspiel von vielen engagierten Akteuren. Das Land gehört zum Teil der Gemeinde, zum Teil dem Bühnenverein (eine Art Dachverband aller Vereine in der Gemeinde) und der Kirche und konnte zu einem fairen Preis im Baurecht übernommen werden. Die Gemeinde ihrerseits nahm die Chance und gestaltete die Umgebung neu. Der Bühnenverein baute das Gebäude mit Verkaufsfläche und einem Raum für die Gemeindemitglieder welcher von der Bevölkerung für Anlässe und ähnliches gemietet werden kann. Die Konsumgenossenschaft konnte die Verkaufsflächen zu einem rund etwas günstigeren Preis als marktüblich mieten. Dass es den Dorfmarkt gibt, ist der Konsumgenossenschaft Lenggenwil und ihren Vorstandsmitgliedern zu verdanken. Die Ausrüstung (Gestelle, Kasse etc.) konnte von Grossverteilern übernommen werden und wurden in vielen Stunden von Freiwilligen aufbereitet und instand gestellt. Die Vorstandsmitglieder nehmen ihre Rolle sehr aktiv wahr und leisten in ihrer Freizeit unzählige Stunden Gratisarbeit. Die Konsumgenossenschaft Lenggenwil organisiert regelmässig Anlässe, wie zum Beispiel das Erntedankfest. Freiwillige zum Helfen seien einfach zu finden. Nachwuchs und somit eine potentielle Nachfolge hingegen, finde sich nur schwer. Wirtschaftlich stützt sich der Dorfladen vor allem auf die Exklusiv-Verträge für den Getränkeverkauf des Mehrzweckgebäudes und des Raumes über dem Dorfladen. Das Sortiment wird von der Konsumgenossenschaft selbst zusammengestellt. Als Hauptlieferant arbeiten sie mit CCA zusammen. Viele der Produkte sind jedoch von lokalen oder regionalen Produzenten, wie zB. das Brot vom Bäcker aus Zuckerriet oder das Fleisch vom lokalen Metzger. Dies ist jedoch mit dem grossen Detaillisten preislich nicht konkurrenzfähig. Damit der Kunde eine Wahl hat, wurden trotzdem auch Standardprodukte in den Laden aufgenommen. Beim Aufbau des Ladens wurden sie dann auch von einem ehemaligen Shop-Berater der CCA unterstützt und beraten.
Gemeinde ermöglicht günstige Bedingungen
Für den Gemeinderat ist klar: Die Gemeinde wird keinen Dorfladen betreiben. Aber was die Gemeinde machen kann, ist die Initiativen, welche an sie herangetragen werden, kooperativ zu behandeln und günstige Konditionen anzubieten. Wichtig ist dabei das geschäftliche zu wahren, denn was gratis ist, hat keinen Wert. Eine enge Zusammenarbeit mit den Initianten und die Wertschätzung einer Idee oder eines Projektes helfen dieses zum Fliegen zu bringen.
Die grossen Knackpunkte liegen zum einen in der Personalfrage des Ladens. Es scheint anspruchsvoll zu sein eine Verkäuferin oder einen Verkäufer zu finden, welche(r) alles abdecken kann: Lieferanten, Poststelle, etc.. Eine weitere Herausforderung ist genügend Kundschaft zu halten. Der Laden ist zwar nicht schlecht frequentiert, aber die Herausforderung bleibt. Ohne die regelmässigen Veranstaltungen und somit Getränkelieferungen hätte der Dorfladen Schwierigkeiten sich zu halten. Das bringt einer der Teilnehmer dazu über mögliche Wege mehr Kundschaft in den Laden zu bringen zu sinnieren. Auf diese Frage liefert das zweite Beispiel des Tages einige Antworten: der Dorfmarkt Vita Plus in Wuppenau.
Integration der anderen Art
Nach einer kurzen Fahrt werden die Teilnehmer im Dorfmarkt Vita Plus in Empfang genommen. Wie der Dorfladen in Lenggenwil geht auch dieser auf das Engagement einiger wenige Personen zurück. Der leerstehende Volg animierte zwei innovative Frauen dazu ein spezielles Projekt auf die Beine zu stellen. Im Dorfmarkt kann nicht nur eingekauft werden, sondern er bietet für Frauen, die psychisch beeinträchtigt sind und den Anforderungen der Arbeitswelt nicht gewachsen sind, einen unbefristeten und beschützenden Arbeitsplatz. Die Betreuung und Begleitung während den Arbeitszeiten werden durch qualifiziertes Personal gewährleistet. Die Geschäftsführerinnen, ein dreier-Team, kommen alle aus dem Detailhandel und haben eine Weiterbildung als Sozialarbeiterinnen. Beim Aufbau des Ladens wurden sie über das Projekt Innovage des Migros Kulturprozent unterstützt. Ziel des als Genossenschaft organisierten Dorfladens ist der Kunde in den Mittelpunkt zu stellen. Deshalb steht in der Mitte, eigentlich die beste Verkaufsfläche, ein grosser Tisch mit Stühlen und einer Kinderspielecke zum Verweilen. Umringt von der Gemüseauslage und der bedienten Käsetheke bei der man auch einen Kaffee bekommt entstand dort nach und nach ein zentraler Treffpunkt für das Dorf. 40% des Sortiments stammt auch hier vom CCA. Die restlichen 60% decken rund 80 regionale Produzenten. Die Kunden können das Sortiment massgeblich mitbestimmen und Bedürfnisse anmelden. Funktioniert das Produkt bleibt es, wird es zum Ladenhüter, wird es nicht mehr bestellt. Ein zentraler Punkt damit der Dorfmarkt funktioniert, ist auch hier, dass er auf eigenen Beinen steht. Solide Analysen und viel Verhandlungsgeschickt prägen den Geschäftsalltag und ein starkes Vertrauen in den Zusammenhalt des Teams machen diesen Laden möglich. Genauso wichtig sind unkonventionelle Ansätze um zB. die Abschreibungsmarge möglichst tief zu halten: Reifes Obst, welches nicht mehr verkauft werden kann, wird hier nicht weggeworfen, sondern vom Dorfmarkt-Team getrocknet und als Dörrfrüchte verkauft. Eine andere Innovation ist das Leihregal für Hörbücher. Der Ursprung waren ein paar ausgehörte Hörbücher der Dorfmarkt-Frauen. Inzwischen bringen diverse Familien ihre alten Hörbücher in den Dorfmarkt und holen sich neue. Der Dorfmarkt wurde im verlaufe der letzten Jahre zum Treffpunkt von Müttern, Vätern, Dorfsenioren und den Nachwuchs-Wuppenauer die haben in Form eines alten Wagens eine Chill-Ecke vor dem Markt erhalten sowie zur Bürgeranlaufstelle. Was nach einem Modellhaften Betrieb klingt, ist vielmehr glückliche Fügung vieler einzelner Faktoren und (leider) nicht einfach so an einem anderen Ort zu kopieren. Auch hier steckt enorm viel Innovationskraft und Freiwilligenarbeit ohne Bezahlung dahinter. Und auch vor Risiken ist der Dorfmarkt Wuppenau nicht gefeit. Eine Strassensperre lässt den Umsatz gerne mal merklich einsinken oder auch die Bautätigkeiten der Grossisten in Zuzwil werden gespürt. Dank sorgfältiger Risikoplanung, sind die Wuppenauer aber auf solche Ereignisse vorbereitet und in der Lage diese einigermassen aufzufangen. Dies dank gezielt eingesetzten Beratern und sorgfältiger und vor allem selbstkritischer Planung. Und vielleicht kommt es nicht von Ungefähr, dass der Genossenschaftspräsident des Dorfmarktes Vita Plus heute auch Gemeindepräsident ist...
Gemeinde in der Vorbildrolle
Die Gemeinde tritt auch in Wuppenau lediglich als Ermöglicher auf. Das heisst, der Dorfmarkt ist selbsttragend und unabhängig von der Gemeinde. Die Gemeinde hat aber zum Beispiel im Sinne einer Vorbildfunktion gleich zu Beginn Anteilscheine gezeichnet und so signalisiert, dass sie an den Erfolg des Projekts glaubt. Zudem hat die Verwaltung gegen Schluss der Mittelbeschaffung tatkräftig mitgeholfen, die letzten Franken zu mobilisieren. Und sie nimmt sich die Dienstleistung des Dorfmarktes zu nutzen, in dem Neuzuzüger mit einem Geschenkekorb des Ladens begrüsst werden. Im Fall von Wuppenau profitiert die Gemeinde zudem von der Integration der Frauen der Wohngruppe.
Fazit: Chancen erkennen, Chancen nutzen
Die Besuche der beiden Dorfläden haben vor allem eines gezeigt: es gibt nicht die goldige Lösung. Die Voraussetzungen sind überall anders, die Chancen entsprechend unterschiedlich. Zentral ist es wohl, diese Chancen zu erkennen und sie zu nutzen. Und dazu auch einmal neue Wege zu gehen und Risiken wenn auch wohl überlegte einzugehen.
Herzlichen Dank!
Die Regio Wil dankt den Beteiligten herzlich für die Bereitschaft offen und detailliert über ihre Erfahrungen zu berichten. Diese Gespräche sind es, die den Dorfbesuch wertvoll machen und die ländlichen Gemeinden stärken. Getreu dem Motto Wissen aus der Region, für die Region.
Weitere Informationen
- Dorfladen Lenggenwil / infowilplus über den Dorfladen Lenggenwil / Tagblatt über den Dorfladen Lenggenwil
- Update über den Dorfladen von Lenggenwil (Wiler Zeitung vom 28.01.2022)
- Dorfmarkt Vita Plus / Tagblatt über den Dorfmarkt Vita Plus
- Projekt Innovage / Innovage über das Projekt Dorfmarkt Vita Plus